Essay

Portrait of Tom Peters, Image: ©Allison Shirreffs

Wir sehen einen graumelierten Mann mit eleganter Brille. Er arbeitet im Schneidersitz auf einem überdimensional großen Bett in einem Hotelzimmer. Er ist leger mit Sweatshirt und kurzen Hosen gekleidet. Auf dem Schoß hat er einen Laptop, auf dem er arbeitet. Auf dem Bett sind Bücher, Magazine, Listen und Tageszeitungen verstreut. Seine Koffer sind nur halb ausgepackt. Eine dunkle Baseballkappe liegt am Rand des Bettes. Die Vorhänge sind zugezogen.

Das Bild, das ich hier bespreche (siehe Abbildung), porträtiert den berühmten Managementberater Tom Peters. Sein Metier ist die radikale Enthemmung arbeitender Subjekte. Das Wirtschaftsmagazin The Economist nennt ihn den Über-Guru des Managements und meint, er stehe für die Renaissance des Unternehmertums und für das nicht-lineare, irrationale und non-kausale Denken im Management. 

Das Porträt setzt, wie ich meine, Lebensform und Raumkonstitution des Tom Peters’schen Subjektideals vortrefflich in Beziehung zueinander. Der Raum ist für mich ein konstituierender Teil einer topologischen Situation, der einerseits vom Subjekt durch Handlungen kreiert wird, andererseits aber auch immer schon auf das Subjekt wirkt. Deshalb werde ich das Porträt[1] genauer betrachten, um den Raum der Arbeit, der sich hier konstituiert, verstehen zu lernen.

Im ersten Abschnitt des Textes stelle ich den arrivierten Managamentberater Tom Peters vor. Ich werde seine Managementthesen kurz darlegen, die ein mobiles und flexibles Arbeitsleben unbedingt gutheißen und uns versprechen, erfolgreiche UnternehmerInnen zu werden. Im zweiten Teil des Textes möchte ich dann auf die Inszenierung des Subjetkideals im Hotelbett eingehen. Was für ein Ort ist das, was muss der Ort für Tom Peters leisten und wie konstituiert sich dieser Ort?

 

  • Der Über-Guru

Thomas J. Peters ist US-amerikanischer Staatsbürger. Er ist zum Zeitpunkt der Aufnahme 62 Jahre alt, graduierte als Master im Fach Bauingenieurwesen an der Cornell University (NY) und erhielt sowohl seinen MBA, als auch seinen Doktor an der Stanford Graduate School of Business. Mit den Navy Pionieren, der Spezialeinheit der SeaBees, war er in Vietnam. Bevor Tom Peters sich als Managementberater selbstständig machte, war er im Weißen Haus und im Pentagon beschäftigt und arbeitete für die Konsulentenfirma McKinsey & Company.

Tom Peters ist berühmt für seine Erfolgsratgeber und Managementbücher. Er ist Co-Autor des ersten großen Management-Bestsellers, der eine Millionenauflage erreichte: Auf der Suche nach Spitzenleistungen[2]. Das war 1982. Das Buch war ein Projekt von McKinsey & Company. Aus einer Serie von Best-Practice-Interviews destillierten Peters und Co-Autor Robert J. Waterman Imperative, die uns heute allen bekannt sind: Handle aktiv! Triff Entscheidungen! Lerne von deinen KonsumentInnen und deinen KundInnen! Fördere Innovation durch Unternehmertum der Einzelnen! Behandle ArbeiterInnen als Quelle von Qualität! Mach das, was du kannst! Lean Design [auch Design kursiv setzen]und simple Formen!

Tom Peters ist Inspiration pur! So und so ähnlich wird er rezensiert. Aus jedem 08/15-Projekt wird der Überhit. Ganz einfach durch Design und Innovation, sowie durch ein zu entwickelndes Talent, das man sein soll und verkaufen muss. Just re-imagine, wie eines seiner Bücher heißt. In der Arbeit geht es um den Spaß, wie euphorisierte Tom-Peters-Anhänger uns erzählen. Und das haben sie ihm zu verdanken. So ist es kein Wunder, dass er als Guru gehandelt wird. Tom Peters ist der leuchtende Leithammel am Managementhimmel.

Tom Peters’ Credo ist es, Kräfte freizusetzen. Es ist die Aufgabe des Managements, Energien zu entfesseln, aufzubauen und in neue Ideen zu kanalisieren. Weg mit dem sachlichen AnalytikerInnen-Image, das ManagerInnen traditionell haben. Unternehmensanalysen sind zu starr in ein Korsett von rationalen Planungssystemen oder Finanzanalysen geschnürt worden. Unternehmensführung ist aber mehr eine Kunst denn eine Wissenschaft. Im Wirtschaftsleben geht es um Menschen. Das alles sind Parolen, Leitsätze von Tom Peters.

In den Gouvernementalitätsstudien des deutschsprachigen Raumes ist Tom Peters hinlänglich bekannt – vor allem seit Ulrich Bröckling in seinem Buch Das unternehmerische Selbst [3] die Erfolgsratgeber von Tom Peters analysiert hat. Bröckling umschreibt das surreale, von Tom Peters aufgestellte Anforderungsprofil für den Einzelnen bei der Arbeit durch eine Reihe von Peters-Zitaten: „,Eigenständig’, ,Wandlungsfähig’, ,Leidgeprüft’, ,Wißbegierig’, ,Naiv wie ein Kind’, ,Unbelastet von der Vergangenheit’, ,Selbstsicher’, ,Lustig’, ,Waghalsig und ein wenig verrückt’, ,Bilderstürmerisch’, ,Multidimensional’, ,Ehrlich’ ,Überlebensgroß’".[4] Dieses unternehmerische Selbst, wie Bröckling es nenntarbeitet nicht mehr brav und ausschließlich am zugewiesenen Schreibtisch. Heute arbeitet man auch gerne von zu Hause oder unterwegs – am Flughafen, im Zug und im Hotel. Heute will oder muss man sogar in den Ferien erreichbar bleiben.

Peters argumentiert für Problemlösungen mit so wenig betriebswirtschaftlichem Overhead wie nur möglich. Er spricht sich für die Übertragung von Entscheidungsgewalten auf die unteren Hierarchiestufen aus. Weg mit den Diagrammen und Schluss mit den rationalen Entscheidungen von oben herab. Einfache ArbeiterInnen sollen mündig sein, selbst entscheiden und natürlich auch Fehler begehen dürfen! Das Management wird so von trivialen Entscheidungen befreit und kann sich nun der Form und der Pflege des Wertesystems des Unternehmens zuwenden. In der Welt von Tom Peters brechen nun vormals passive ArbeiterInnen aus ihrer Box aus, werden innovativ und kommunizieren das auch permanent. 

Tom Peters gibt einfache Ratschläge für ein zeitgenössisches Arbeitsleben. Vorbehaltlos bejaht er in seinen Texten ein Leben, das sich heute für eine immer größere Anzahl von Menschen prekär gestaltet. Es ist ein Leben, in dem wir flexibel auf Situationen reagieren und permanent mobil sein sollen, eine Existenz, die durch temporäre, projektbasierte und unterbezahlte Arbeitsverträge bestimmt ist, ein Alltag, in dem wir lernen müssen, permanent aus uns selbst heraus zu handeln, indem wir auf unsere inneren Ressourcen zurückgreifen, eine Praxis, in der wir dauerhaft Verantwortung für unsere eigenen Handlungen übernehmen müssen. Jede/r Einzelne wird bei Tom Peters direkt angesprochen. Denn wir sind alle UnternehmerInnen, die ein Business haben. 

Das Problem für den Einzelnen stellt sich aus der Perspektive Tom Peters’ ganz simpel dar: Wir zaudern zu viel. Dagegen hilft es, einfach Entscheidungen zu treffen und sich nicht vor Fehlern zu fürchten. Wir sollen ganz einfach unsere Talente erkennen und entwickeln. Es geht ihm darum, dass wir alle wir selbst werden und dass wir besonders sind.  

Besonders zu werden bedeutet für Tom Peters auch, kreativ zu werden. Und Kreativität, als auch Kunst sind wiederkehrende Schlagworte im Tom-Peters-Talk. Eines seiner Bücher ist dem Design gewidmet: innovatedifferentiatecommunicate heißt es im Untertitel der essentials-Serie.[5] Schon auf dem Cover lernen wir, dass es im Design um Hingebung, Emotion und Attachmentgeht – Eigenschaften, die im Herzen jedes Unternehmens zu finden sein müssen.[6] Auf 155 Seiten und fünf Top-10-To-Do-Listen will der Über-Guru die Brücke zwischen Business und Design schlagen. 

In diesem Buch findet sich eine Reihe von Interviews mit Freunden. Zum Beispiel kommt der Gründer von IDEO, der global agierenden Designberatungsfirma, zu Wort. IDEO hilft Unternehmen bei der sicheren Innovation durch quantifizierbare Ideenfindung. Eigentlich ist Design bei weitem mehr, als allgemein angenommen wird, meint Tom Peters. Design ist ein Werte-Generator ... und es geht um coole Headquarters. Das sind Orte für Kreativität: man kommt früh kommt und bleibt lange. Designer müssen aber auch Teil des Vorstandes einer Firma sein. Nur dann wird alles in einer Firma „exciting. Because their ideas are exciting [...]. Because these new-breed finance people are ... design driven.“[7]

Zusammengefasst propagiert Tom Peters in seiner Managementlehre Folgendes: Der Schlüssel zum Erfolg für uns alle besteht in der vorbehaltlosen Bejahung der Herausforderungen des Arbeitslebens. Wir können es, wie Tom Peters meint, dadurch bewältigen, dass wir zu UnternehmerInnen werden, die Verantwortung übernehmen und aus sich selbst heraus handeln. Mehr noch, wir werden alle zu kreativen UnternehmerInnen, die sich immer und überall für das Unternehmen einsetzen. Dies impliziert ein Stück weit eine Konvergenz von Leben und Arbeiten durch einen Prozess der Selbstfindung. Das Herz des Unternehmens sind wir, jeder Einzelne von uns. Der zeitgenössischen UnternehmerIn ist die Arbeit eben nichts mehr Äußerliches. 

  • Space

Tom Peters inszeniert sein Leben als Unternehmer. Er will vorzeigen, wie man in einem aktuellen Arbeitsleben erfolgreich wird und bleibt. Von früh bis spät ist er aktiv. Er inszeniert sich als singuläre Kraft. Er ist Souverän, Generalstab und Soldat in einem. Er zeigt Leidenschaft für das, was er macht. Du kannst es machen! Dein Talent: Develop it! Sell it! Be it!

Doch wie lebt Tom Peters? An welchen Orten arbeitet der Über-Guru? Wie sind die Räume beschaffen, die in Beziehung zu diesem Subjektideal der Eigeninitiative und Kreativität steht? Das Porträt, das der Über-Guru in einem luxuriösen Hotelzimmer inszeniert, stammt aus der Porträtserieserie A day in the life. Sie bestehet aus 35 Einzelbildern und wurde von der US-amerikanischen Fotografin und Business-Autorin Allison Shirreffs im Jahre 2004 aufgenommen. Die Serie beginnt mit jenem Bild, auf dem sich Tom Peters im Bett inszeniert. Die nächste Aufnahme zeigt ihn im gleichen Zimmer, nun an einem biedermeierlichen Tisch auf einem altmodisch anmutenden Polstersessel (Typ französischer Empire-Stil) sitzend; an der Wand ein großer ovaler Spiegel. Zwei Laptops vor ihm auf dem Tisch, ein Stapel Designbücher neben sich auf dem Boden. Philippe Starcks Zitronenpresse ist klar auf dem Cover des obersten Buches zu erkennen. Ganz deutlich soll hier aber ausgedrückt werden: Das sind keine Coffeetable-Bücher! Mit diesen Büchern wird gearbeitet. Die folgenden Bilder zeigen unseren Management-Guru im Auto, dann in irgendeiner mit Blumen geschmückten Büro- oder Hotellobby. Er unterhält sich mit Leuten (meet & greet), gibt natürlich Ratschläge, liest die lokale Zeitung. Der Hintergrund dieser Bilder wird mehr und mehr abstrakt. Tom Peters hält einen Vortrag. Losgelöst von einem räumlichen Kontext sieht man in einer Serie von Großaufnahmen sein Gesicht und seine Gestik. Er ist emotional. Er spricht laut! Er ist selbstsicher und überzeugt sein Publikum. Die Bilder werden von Untertiteln begleitet: Let me explain. – It’s obvious, no? – I’ll think about it. – Precisely my  point. – Must I repeat myself? – Listen closely. – I really mean it. – The answer is heavenward! Die Porträtserie endet mit einigen Fotos, auf denen man Tom Peters sieht, wie er sich von seiner AnhängerInnenschaft verabschiedet und sich bedankt. Natürlich sehen wir ihn auf dem letzten Bild zusammen mit ein paar Frauen plaudern, wobei die eine ihm etwas ins Ohr flüstert.

Das Bild, das ich näher betrachte, ist also für Tom Peters nur ein Arbeitsraum von vielen. Signifikant ist hier jedoch, dass er eigenen Angaben nach mehr als 200 Tage und Nächte im Jahr in Hotels verbringt. Es sind die Hotelzimmer und vor allem dort die king-sized Hotelbetten, in denen der Über-Guru bis zu sechs Stunden am Tag an seinem tragbaren Computer arbeitet. Er beantwortet Emails und bereitet sich auf die jeweils nächste Präsentation vor.[8]

Wir registrieren einen jung gebliebenen älteren Herrn. Er sitzt auf einem Hotelbett und arbeitet auf seinem Laptop. Das Bett scheint im Bild überdimensional groß. Es nimmt fast zwei Drittel des Bildraumes ein. Es ist weiß überzogen. Auf ihm liegen verstreut Zeitungen, Bücher, Designmagazine, Dokumente, Skizzen und Manuskripte. Am äußersten Bettrand liegt eine dunkle Baseball-Kappe. Im ersten Moment fällt auf, dass das Zimmer komplett abgedunkelt ist. Alle Vorhänge sind zugezogen. Vorhang und Wandtapete haben das gleiche Toile-de-Jouy-Muster und bilden so eine annähernd fugenlose Hülle. Am rechten Bildrand steht ein Fernseher, links davon auf einem Sessel, liegt ein geöffneter, aber unausgepackter Koffer. Das Etikett vom Flug ist noch angebracht. Rechts neben dem Bett steht eine zweite geöffnete Tasche. In einem transparenten Plastikbeutel liegen Toiletteutensilien. Der Herr ist mit einem grauen Fleece-Sweater und dunklen Tennishosen bekleidet. Er trägt elegante Brillen mit dünnem Stahlrahmen. Am rechten Handgelenk sehen wir seine opulente Uhr. 

Man kann das Porträt von Tom Peters als spiegelverkehrte Interpretation von Carl Spitzwegs Der Arme Poet aus dem Jahre 1837 lesen. In der berühmten Karikatur aus dem Biedermeier präsentiert Carl Spitzweg einen Sonderling, der im Bett einer ärmlichen Dachkammer seinen poetischen Phantasien nachhängt. Die Manuskriptbündel beim Ofen zeugen von einem fruchtbare Tätigkeit, wobei ein aufgeschlagenes Buch am Bett gleichzeitig seinen Hang zum Plagiat und das überdimensionale Kopfkissen „sein Attachement an das stille Glück im häuslichen Winkel“[9] erkennen lassen. Spitzwegs Poet ist eine aus der Gesellschaft abgedrängte Existenz.[10]

Tom Peters hingegen ist weder von der Gesellschaft abgedrängt, noch ist er arm.  Als Über-Guru ist er jedoch Hohepriester, Enthemmungszauberer und Prophet in einem. So wie der Dichter und Künstler der bürgerlichen Romantik  als Führer der Menschheit und als Träger übermenschlicher Kräfte galt, inszeniert sich Tom Peters als besonderes Wesen. Er präsentiert sich als kreativer Geist. Die Uhr am rechten Handgelenk weist ihn als fantasievollen Linkshänder aus. Zudem umgibt er sich mit Publikationen über Design und herausragend mutige Personen. Das Material dient nicht zum Plagiat wie noch beim armen Poeten, sondern ist Inspiration. In anderen Worten inszeniert sich Tom Peters als zeitgenössisches, kreatives Arbeitssubjekt, das nicht mehr arm zu sein braucht oder gar seelisches Elend oder Zweifel erleidet.

Das Porträt wurde im St. James Hotel in Montreal inszeniert. Das achtstöckige Hotel ist im französischen Empire-Stil gehaltenen. Das St. James ist ein Grand Hotel der Extra-Luxusklasse. Es ist Mitglied der exklusiven Hotelgilde leading small hotels of the world und hat fünf Sterne. Es ist nur 20 Kilometer vom Dorval International Airpor entfernt und liegt mitten im historischen Zentrum von Montreal. Das Präsentationsvideo des Hotels nimmt uns mit auf eine Tour durch aristokratisch gestaltete Interieurs. In barocker Begleitung des Kanons in D für Streicher von Johann Pachelbel werden wir durch die verschiedenen Zimmer geleitet. Kristallluster, halb abgebrannte Kerzen, gekühlte Champagnergläser, Marmorbäder und immer wieder riesengroße Betten prägen das Bild. 

Die Räume sind allesamt luxuriös ausgestaltete Rückzugsräume, in denen man sich wohl fühlen soll. In einer der Suiten des Hotels wird das Porträt inszeniert. Unter dem Bild, das wir auf der Webseite von Tom Peters betrachten können[11], lesen wir: „3am. Montreal. H-hour minus 4.“ H-hour minus 4? Ein militärischer Ausdruck. Die H-Stunde bezeichnet jene Stunde, in der ein Gefecht oder eine Operation beginnt. Der besser bekannte D-Day spezifiziert analog dazu den Tag. Also meint H-Stunde minus vier, dass Tom Peters’ Gefecht außerhalb des Hotelzimmers täglich um 7 Uhr Früh losgeht. Und so eine Operation muss genau geplant sein. We Build, We Fight war das klingende Motto, unter dem er in Vietnam Infrastrukturen geplant hatte. Dem Kampf geht das Bauen voraus. Und dem Bauen das Organisieren und das Planen. Der Unterschied zu einer militärischen Aktion besteht aber darin, dass Tom Peters sich als Einzelgänger präsentiert. Er selbst gibt sich die Befehle. Es gibt keinen übergeordneten Generalstab, der strategisch plant. Das kreative UnternehmerInnensubjekt motiviert sich selbst. Es gibt in der Welt von Tom Peters keine Untertanen mehr, nur mehr Eliten. So kann es aber auch keine Erleichterung oder Erlösung von der Verantwortung mehr geben. So sitzt der zeitgenössische Souverän um drei Uhr morgens im legeren Schneidersitz mit Laptop auf dem Knie in einem Hotelzimmer und bereitet sich auf seine nächste Handlung vor. 

Es scheint, also ob die Nacht hier abgeschafft werden soll, wie auch eine räumliche, geografische Nachbarschaft. Das Hotelzimmer hat keine Zeit. Es hat aber auch keinen Ort, mit dem es in Beziehung steht. Es gibt kein Fenster, das eine Entfernung rahmt oder sonst wie eine Verbindung mit dem Außen herstellt. Die Vorhänge sind zugezogen. Eine nahtlose, indifferente Fläche umhüllt den Innenraum. Rhythmisiert wird die Wand einzig von den gerafften Stoffen der Vorhänge, die exakt die gleichen Muster wie die Tapeten aufweisen. Das histoire d'eau-Motiv zeigt das Bild einer idealisierten vergangenen Zeit anhand verschiedener Lebenssituationen: der Bauer und die Magd bei der Ernte und beim Müßiggang, immer wiedereine Mühle mit einem Wasserrad, dazwischen Gestrüpp und Buschwerk. 

Der Blick des Individuums in diesem Hotelzimmer ist ein singulärer und statischer, ein privater Blick auf eine Kollektivlandschaft der Vergangenheit. In konstanter Wiederholung werden auf 360 Grad die immer gleichen Motive appliziert. Es sind konkrete Beispiele einer erträumten Vergangenheit. Die Vorhang-Wand-Fläche etabliert ein Panorama, in dem sich das unternehmerische Selbst platzieren kann und die ganze Welt seiner eigenen unschuldigen Träume erschaut. Das Kollektiv, die Landschaft, ist in unserem Beispiel ein Bild im Inneren. 

Das Außen ist abgeschafft. Nichts Unbekanntes stört, Wirklichkeit und Fantasie werden eins, und der Raum wird totaler Innenraum. Das Hotelzimmer ist gleichzeitig von Umgebung und Zeit losgelöst und orientiert sich zirkulär rund um das Subjekt im Bett. Dies ist das nächtliche Hauptquartier des kreativen Unternehmers: ein selbstreferenzieller, zirkulärer und dennoch zielgerichteter Raum. Das Herrschen und das Arbeiten fallen zusammen und so schaut Tom Peters im Nirgendwo auf eine allgemeine Fantasiewelt, die das gute Leben symbolisiert; eine Welt, die der Spiegel unserer Träume sein soll.

Das Hotelzimmer, in dem sich Tom Peters im Bett porträtieren lässt, ist jedoch auch spezifisch verortet. Dies wird durch den Untertitel des Bildes auf der Webseite vorgegeben: „3am. Montreal. H-hour minus 4.“ Das Foto verrät zudem auch Hinweise aufMontreal: Wenn wir genauer hinschauen, können wir die kanadische Tageszeitung The Globe and Mail neben Tom Peters erkennen; auf dem Terminplan, der im Vordergrund auf dem Bett liegt, ist Datum und Ort erkennbar. 23. September 2004, Montreal, Kanada. 

Montreal. ... Montreal, Kanada? Ich assoziiere ein anderes Ereignis im Bett, das 35 Jahre zuvor stattfand. Das zweite Bed-In von John Lennon und Yoko Ono Ende Mai 1969. Für eine Woche liegen die beiden im Hotelbett in Montreal. Sie arbeiteten das zweite Mal in diesem Jahr im Bett für den Frieden. Zuerst wurde die Performance Ende März im Amsterdamer Hilton abgehalten. Von Montag, den 26. Mai, bis Sonntag, den 1. Juni 1969, liegen John Lennon und Yoko Ono dann in Montreal im Bett. Sie geben Radiointerviews via Telefon. Der lokale Radio-DJ Chuck Chandler baut im Zimmer ein Studio auf. Kanadische und private Kamerateams, FotografInnen und JournalistInnen sind anwesend. Sie dokumentieren das Happening. Timothy und Rosmarie Leary, sowie der Rabbi und Friedensaktivist Abraham Feinberg schließen sich den beiden im Bett an. Am letzten Abend in Montreal wird das weltberühmte Lied Give Peace a Chance aufgenommen.

Im Interview kommentiert John Lennon retrospektiv das Bed-In als kalkulierte Werbekampagne, die sie aus freien Stücken heraus selbst initiiert hatten: „[W]e decided to utilize the space we would occupy anyway by getting married with a commercial for peace“[12] Das Bed-In als Werbekampagne für den Frieden, ein Event, das die mediale Aufmerksamkeit durch die Hochzeit nutzt und mit den öffentlichen Erwartungshaltungen der JournalistInnen spielt. So arbeiten sie in Amsterdam und in Montreal rund um die Uhr friedvoll im Bett. Sie opfern auch einen Großteil ihrer Flitterwochen für ihr Anliegen. Ganz im Sinne des Tom Peter’schen UnternehmerInnenideals setzen sie sich für ihre eigene Initiative und ihre eigene Werbebotschaft ein. Aus freien Stücken heraus arrangieren sie ihr Im-Bett-Bleiben als Werbung für ihre Unternehmung, eine alternative Lebensweise gegen den Krieg. Die symbolische Handlung, im symbolisch inszenierten Raum, das Arbeiten im Hotelbett, verkauft die große Freiheit für uns alle.

Das Bed-In hat zweifellos seine Wurzeln in der künstlerischen Praxis von Yoko Ono. Ihre Kunst außerhalb der Musik beschreibt sie als ein skriptloses Arbeiten mit sich selbst (dealing with oneself).[13] Die Instruction-Pieces sind zum Beispiel solche Arbeiten. 1964 publiziert Yoko Ono das Grapefruit Buch. Darin finden wir Anleitungen wie: Versteck dich, bis alle nach Hause gehen. Versteck dich, bis jeder dich vergisst. Versteck dich, bis jeder stirbt, oder auch: Steh im Abendlicht, bis du transparent wirst oder bis du einschläfst[14].

Die Instruktion für das Bed-In klingt trivialer. Bleib im Bett, lass dir die Haare wachsen. Die konzeptionellen Anweisungen für das Bed-Piece, das Bett-Stück, wollen eben verkauft werden und müssen als Punchline eingängig sein. John Lennon und Yoko Ono wollen mit ihrer Aktion möglichst viele ansprechen. Dazu müssen sie direkt sein. Deshalb wird auch eine Konvergenz von Werbung und Kunst erstrebt. Für die beiden künstlerischen UnternehmerInnen wird diese Verschmelzung aber notwendig. Die Grenzen zwischen der Kunst und der unternehmerischen Reklame müssen flüssig werden. So auch die Grenzen zwischen Kunst und Leben. Die beiden arbeiten im Hotelzimmer, leben und schlafen aber auch dort.

All das sind Anleihen, die wir in ähnlicher Form im Porträt von Tom Peters finden. So ist das Bed-In für die Inszenierung von Tom Peters im Hotel paradigmatisch. Es ist die unternehmerisch motivierte Handlung von John Lennon und Yoko Ono, die sie das Bed-In performen lässt. Eine Tat, die ganz dem Ideal von Tom Peters’ enthemmtem Arbeitsubjekt entspricht. Aus sich selbst heraus hat das junge Paar Initiative ergriffen und ist für seine eigene Idee zu Felde gezogen. Aus Tom Peters’schen Perspektive verwandeln sich John Lennon und Yoko Ono in kreative UnternehmerInnen. In ihrer Performance verschwimmen die Grenzen zwischen Leben und Arbeit, von Alltag und Kunst. Eine Verflüssigung der Grenzen, die wir auch bei Tom Peters beobachten. 

Die formalen Ähnlichkeiten zwischen dem Porträt Tom Peters und dem Bed-In von John Lennon und Yoko Ono sind frappant: das Arbeiten im Bett, das Ineinanderfließen von Leben und Arbeiten, auch die Verwendung von kommerziellen wie künstlerischen Mitteln, um die unternehmerischen Ziele einem breiten Publikum zu transportieren, oder die Botschaft, die sich an jeden Einzelnen richtet. Dennoch produzieren Tom Peters als auch John Lennon und Yoko Ono komplett Unterschiedliches im Bett der Hotelzimmer.

Das Hilton Hotel in Amsterdam, das Sheraton Hotel, auf den Bahamas, wo das zweite Bed-In von John Lennon und Yoko Ono ursprünglich geplant war, und schließlich das Queen Elizabeth in Montreal sind allesamt American-style luxury Hotels. Es sind herrliche demokratische Architekturmaschinen im internationalen Stil. Das moderne Luxushotel, in das sich John Lennon und Yoko Ono einquartieren, will den Ausdruck einer freien, demokratischen Welt, in der Vorstellung US-Amerikas, mit gläsernen, transparenten Eingangsbereichen, klaren Betonstrukturen und normierten Zimmern darstellen. Das St. James Hotel, in dem Tom Peters residiert, ist dagegen im französischen Empire-Stil gehalten. Mit seinen feierlichen Dekorationen erinnert es an bessere, aber längst vergangene Zeiten. Beide Arten von Hotels sind Inseln, Traumwelten, in denen die TouristInnen und Geschäftsreisenden zur Ruhe kommen und ein Stück weit sich zu Hause fühlen sollen.

John Lennon und Yoko Ono eignen sich jedoch die Zimmer der Grand Hotels US-amerikanischer Provenienz für ihre Friedensperformance an. Es ist eine ganz spezielle architektonische Praxis, wie ich meine, die sie im Bed-In anwenden. Sie nutzen mit dem Grand Hotel die Ikone einer demokratischen, offenen Gesellschaft, die im Kalten Krieg dutzendweise an den Outpostsder westlichen Zivilisation platziert wurde Sie tun darin aber gar nichts, mehr noch, ihre Verweigerung stellt eine Anleitung dar, zu Hause zu bleiben. Die Haare wachsen von selber. Diese verweigernde Handlung ist eine, deren Ausgang offen ist. Der Rückzugsraum des Hotels, in dem der Tourist eine bekannte und vertraute Umgebung findet, wird mit dem Bed-In plötzlich zu einem Raum, der eine bestehende Ordnung der Welt aufzulösen scheint.

Dagegen produziert der kreative Unternehmer Tom Peters ganz explizit einen Mehrwert. Der Rückzugsraum für den agilen Handelsreisenden wird doppelt genutzt und effizient gemacht. Das Bett, das Zeichen der ultimativen Freiheit, nichts zu tun, wird zum Ort der Arbeit für den enthemmten kreativen Unternehmer. Der Raum wird von Raum und Zeit entkoppelt, auf einen idyllischen Ursprung, in dem der kaiserliche Souverän residierte, reduziert, um den Einzelnen für ein grösseres, kapitalistisches System produktiv zu machen. 

 

  • Konturen

Fassen wir zusammen. Das Porträt, das ich betrachte, zeigt einen Raum von vielen im Arbeitsleben von Tom Peters. Allen Arbeitsräumen ist gemein, dass sie ortlos sind. Weder das Hotelzimmer, noch der Fahrgastraum der Limousine oder die Lobbys, in denen er sich aufhält, haben Nachbarschaftsbeziehungen. Nur durch kleine Hinweise, symbolische Versatzstücke und Untertitel bekommt das Bild einen Ort: Montreal, Kanada. 

Das Porträt im Hotelbett ist nicht nur deshalb signifikant, weil er sich darin zirka zwei Drittel des Jahres aufhält. Dort bereitet er sich für den nächsten Arbeitstag vor. Leben, Wohnen und Arbeiten vermischen sich in diesem opulenten Hotelzimmer. Die zugezogenen Vorhänge etablieren eine homogene, fugenlose Innenraumhülle, die einen zirkulären, selbstreferenziellen Produktionsraum für den kreativen Unternehmer konstituiert. Es ist aber ein Arbeitsplatz, der als Rückzugs- und Freiraum deklariert wird. Es ist ein Lebensraum, dessen Inneres nichts dem Zufall überlässt und der versucht, alles Äußere draußen zu halten.

Der Über-Guru inszeniert sich als Vorbild für das zeitgenössische Arbeitssubjekt in einem Luxushotel. Das Porträt präsentiert ihn als kreatives Individuum. Als Modell dient die spiegelverkehrte biedermeierliche Künstlerfigur des armen Poeten. Das moderne Arbeitssubjekt braucht nicht länger arm zu sein oder gar Elend zu erleiden. Der Über-Guru arbeitet im überdimensional großen Bett. Dieses Arbeiten im Bett symbolisiert zwar die große Freiheit der Entspannung und des Nichts-Tuns. Es wird aber im Porträt umgekehrt. Das Bett wird hier Reproduktionsstätte einer bekannten Wirklichkeit: der kapitalistischen Mehrwertproduktion.

So gesehen ist der utopische Moment der Bed-In Performance von John Lennon und Yoko Ono zwar formal im Bild noch vorhanden, ist aber seiner eigentlichen Richtung enthoben. Hier dreht sich alles nur mehr um das arbeitende Subjekt, das keinen definierte Arbeitsraum mehr hat. Der Ort ist der allgemeine Lebensraum, der hier in diesem Bild das Hotelzimmer ist.

 

  • publiziert in:
    Gabu Heindl (Hg.): Arbeit Zeit Raum, Bilder und Bauten der Arbeit im Postfordismus, Turia+Kant, Wien, 2008, S.84-97

 

  • Fußnoten

  • [1] Das Bild ist als Material für eine räumliche Analyse deshalb aussagekräftig, weil „[d]ie Wahrnehmung von Raum durch ihre Repräsentationen produziert wird; in diesem Sinne hat der gebaute Raum nicht mehr Autorität als Zeichnungen, Fotografien oder Beschreibungen.“ Beatriz Colomina: Privacy and Publicity, Modern Architecture as Mass Media. Cambridge, Massachusetts / London, England, MIT Press 1994, S 369

  • [2] Thomas J. Peters, Robert H. Waterman: Auf der Suche nach Spitzenleistungen. Was man von den bestgeführten US-Unternehmen lernen kann. Landsberg, Verlag Moderne Industrie 2003 (engl. Original: 1982)

  • [3] Ulrich Bröckling: Das unternehmerische Selbst, Soziologie einer Subjektivierungsform. , Frankfurt am Main, Suhrkamp 2007

  • [4] Ulrich Bröckling: Jeder könnte, aber nicht alle können, Konturen des unternehmerischen Selbst, in: Mittelweg 36, 11.Jg, August/September 2002, S 23.

  • [5] Tom Peters: Design – innovate, differentiate, communicate. London, New York, München, Melbourne, Dehli, DK Publishing 2005

  • [6] Vgl. ebd., Umschlag

  • [7] Ebd., S 13

  • [8] Vgl. Tom Peters: Design. Innovate, Differentiate, Communicate. London, New York, München, Melbourne, Dehli. DK Publishing, 2005, S 16-18

  • [9] Katharina Kaspers: Der Arme Poet, existentielle und triviale Aspekte einer literarischen Figur, in: Neophilogus, Bd. 74, Nr. 4, 1990, S 561-576, hier: S 566

  • [10] vgl. ebenda.

  • [11] http://www.tompeters.com/toms_world/a_day_in_the_life.php

  • [12] Andrew Solt: Imagine: John Lennon, DVD, Timecode: 52:57, Warner Bros Entertainment, 2005

  • [13] Vgl. Yoko Ono: Lecture an der Wesleyan University, 1966, in: Lucy Lippard: Six Years: the dematerialization of the art object from 1966 to 1972. University of California Press 1973/2001, S 13

  • [14] “Stand in the evening light until you 
[?]become transparent or until you fall 
[?]asleep” (BODY PIECE); “Hide until everybody goes home. Hide until everybody forgets about you. Hide until everybody dies” (HIDE AND SEEK PIECE)